Backhäuser Vortrag vom 9. Mai 2025
Backhäuser in Münchingen - nicht nur eine Geschichte des guten
Geschmacks
Gliederung
Einleitung
Die historischen Wurzeln
Der „Backhaus-Boom“ der 1830er Jahre
Das Münchinger Backhaus nimmt Gestalt an
Anhaltender Bedarf lässt weitere Backhäuser entstehen
Backhaus-Sterben nach dem 2. Weltkrieg
Resumée und Ausblick
1. Einleitung
Meine Damen und Herren, wir haben wieder einmal einen Geburtstag verschlafen,
noch dazu den einer altehrwürdigen und noch immer aktiven Gemeinde-Institution:
Letztes Jahr ist das Münchinger Gemeindebackhaus 180 Jahre alt geworden, ja wir
können sogar noch genauer datieren: Am 20. Juli 1844 wurde es seiner
Bestimmung übergeben laut Kostenzettel des verantwortlichen Werkmeisters
Haueisen aus Leonberg, der an diesem Tag „die Übernahme des Gemeinde-
Backhauses“ besorgte. 1 Es war das erste kommunale Backhaus im Ort, es blieb
nicht das einzige und heute ist es das letzte, das überlebte. Lassen Sie uns
gemeinsam auf eine Spurensuche gehen, die Licht in diese Entwicklung und ihre
geschichtlichen Hintergründe zu bringen versucht. Die erste Spur führt uns dabei
zu einer wohlbekannten Persönlichkeit: Herzog Carl Eugen von Württemberg (Bild
1).
2. Die historischen Wurzeln
Sein feuerpolizeiliches Engagement fand einen ersten gesetzlichen Niederschlag in
der herzoglich württ. Land-Feuer-Ordnung vom 12.1.1752. In ihr hieß es:
Anbenebst ist denen Communen einzubinden, den Bedacht dahin zu nehmen, daß,
so viel immer thunlich seyn möchte, an abgelegenen Orten offentliche Wasch- und
Dörr-, auch wo möglich Bach-Häuser und andere dergleichen Gelegenbeiten,
woselbst leicht entzündende Sachen präpariert, gesotten und gebacken werden
können, auf gemeine Kosten errichtet, und ums Geld verliehen … werden sollen.
1 StAKM MR 510 Nr.156
Noch im gleichen Jahr, also 1752, vermelden die Münchinger
Gemeinderechnungen den Bau eines an der vorderen Wette gelegenen Gemeinde-
Waschhauses:
Da in Conformität hochfrstl. gnädigster Verordnung und beiliegend gnädigst
ratifizierten Überschlags ein besonderes Flecken-Waschhaus erbauet werden
müssen, so ist mit samtlichen dazu nötig gewesenen Handwerksleuten …
accordiret und darauf folgende Kosten angew(endet). 2
(Bild 2)
Dieses Bild zeigt schon einen späteren Zustand, nämlich das zu einem Backhaus
umgebaute Waschhaus, auf das wir später zurückkommen werden. Ein
Gemeindebackhaus war in Münchingen noch in weiter Sicht. Daran änderte in der
Folge weder die im Wesentlichen mit der Feuerordnung von 1752
übereinstimmende Feuerpolizeiordnung von 1785 noch die Generalverordnung die
Feuerpolizei-Gesetze betreffend vom 1808 etwas. Letztere formulierte:
Da die vielen Backöfen in den Häusern ebenso überflüssig als gefährlich sind, so
sollen innerhalb Jahresfrist in allen Orten, wo keine Kommun-Backöfen oder deren
nach Verhältnis des Orts nicht genug sind, dergleichen, jedoch entfernt von den
öffentlichen Wegen, Chausseen etc. erbaut werden, und jedes Königl. Ober- und
Souveränitäts-Amts darauf, daß dieser Befehl unfehlbar befolgt wird, ein genaues
Augenmerk haben. (Bild 3)
Auch diese obrigkeitliche Anordnung, die sogar eine einjährige Frist bestimmte,
blieb in Münchingen ohne Folgen. Aber das war nicht nur hier so. Erst zwei
Jahrzehnte später kam es zu einem entscheidenden Wandel.
3. Der „Backhaus-Boom“ der 1830er Jahre
In den 1830er Jahren wird seitens der Oberämter zunehmend Druck auf die
Gemeinden ausgeübt, kommunale Backhäuser einzurichten, und das mit
wachsendem Erfolg. Ein Blick über die Amtsbezirksgrenze hinweg auf das Oberamt
Ludwigsburg soll das veranschaulichen. Am 19. September 1837 veröffentlichte
letzteres im Ludwigsburger Wochenblatt die folgende Bekanntmachung:
,,Ludwigsburg (An die Ortsvorsteher). Bei dem sichtbaren zunehmenden Interesse
für die
Gemeinde-Backöfen hält es die unterzeichnete Stelle für angemessen, Folgen-
des zur öffentlichen Kenntnis zu bringen: Im Laufe des Etatsjahrs von 1836/37
wurden wieder einige Gemeinde-Backöfen gebaut und mehrere sind im gegen-
wärtigen Augenblicke im Bau begriffen, so daß am Schlusse dieses Etatjahrs in
17 Gemeinden des aus 22 Gemeinden bestehenden Bezirks Gemeinde-Back-
öfen vorhanden seyn werden. Diese bestehen nämlich und sind in vollem
Gange in den Gemeinden Asperg, Benningen, Eglosheim, Heutingsheim,
Hoheneck, Markgröningen, Möglingen, Pflugfelden, Poppenweiler und Thamm, und
gebaut werden noch in den Gemeinden Beihingen, Bissingen, Kornwestheim,
Neckargrönimgen, Neckarweihingen, Ossweil und Schwieberdingen. … 3
2 StAKM MR 53 f.126’f.
3 zitiert nach Theodor Bolay ….
Insbesondere den deutlich geringeren Holzverbrauch, der auf ein Drittel des in
Privatbacköfen benötigten Brennmaterials beziffert wird, hebt die amtliche
Verlautbarung hervor. Sie sei „gewiß eine Ersparniß, die in einer Zeit, wo die
Holzpreise beinahe täglich steigen, und wo alle Privathaushaltungen auf möglichste
Beschränkung ihres Holzbedürfnisses hingewiesen sind, auch von Seiten der
Gemeindebehörden von einem höheren Gesichtspunkt aus die höchste
Aufmerksamkeit verdient. Rechnet man dann zu diesen ökonomischen Vortheilen
noch die wei-
teren bekannten hinzu, nemlich: die Gewinnung eines besseren und
schmackhafteren Brodes, den Gewinn an Raum im eigenen Hause und die
Verminderung der Feuersgefahr in demselben, so kann es keinem Zweifel
unterworfen seyn, daß es eine wahre Pflicht der Gemeindebehörden sey, mit allem
Ernste auf die Erbauung von Gemeindebacköfen zu denken und das Vorhaben mit
allem Nachdruck durchzuführen.“
Und wie sah es in Münchingen aus?
4. Das Münchinger Backhaus nimmt Gestalt an
Ein Blick in die Münchinger Ruggerichtsprotkolle bzw. -rezesse ist hier
aufschlussreich. Die bis 1892 in Württemberg bestehenden Ruggerichte, in denen
vor dem Amtmann die Polizeiübertretungen abgeurteilt wurden und auch Klagen
der Gemeindeeinwohner vorgebracht werden konnten, entwickelten sich im 19. Jh.
zu reinen Gemeindevisitationen durch den Oberamtmann, so dass die
Ruggerichtsprotokolle gute Situationsberichte der örtlichen Verhältnisse aus allen
Lebensbereichen ergeben. In Bezug auf die Errichtung von Gemeindebackhäusern
beschließt das in Münchingen abgehaltene Ruggericht bereits 1837 (MB-57 f.55’f.),
den beim Schafhaus befindlichen Backofen den Bürgern zum Backen ihres
„Brotbedürfnisses“ einzuräumen und einen weiteren Backofen im Commun-
Waschhaus einzurichten; das Ruggericht vom 29.10.1839 ordnet den Bau von zwei
Gemeindebackhäusern mit je zwei Öfen an (MB-57 f.69’) und 1841 (MB-57 f.80’f.)
wird die Errichtung von Gemeindebacköfen angesichts hoher Holzpreise und einer
geringen Holzgabe als Bestandteil des Gemeindebürgerrechts (20/30
Reisigbüschel) für ein dringendes Bedürfnis der Bürger anerkannt. Das Oberamt
beharrt auf seiner früheren Anordnung, vor der Hand ein Backhaus zu errichten.
Tatsächlich fällt dann der Münchinger Gemeinderat im Folgejahr, genauer am 29.
November 1842, den folgenden Baubeschluss:
Die Eröffnung eines Gemeindebackhauses ist seit einiger Zeit der Wunsch eines
großen Teils der hiesigen Einwohner, den sie auch bei dem letzten Ruggericht
vorbrachten. Obgleich die hiesige Gemeinde durch das im kommenden Jahr
vorzunehmende Schulhausbauwesen große Summen zu bestreiten hat, haben sich
die bürgerlichen Kollegien entschlossen, das Verlangen der Einwohner zu erfüllen
und fassen den Beschluss, 1. ein Gemeindebackhaus zu errichten und das
Bauwesen bei kommendem Frühjahr alsbald auszuführen. Als den hiezu
tauglichsten Platz erkennen sie den der Gemeinde eigentümlichen zwischen der
hinteren Wette und Jakob Schwartz, Feldscher s., Gärtlein gelegenen, beauftragen
nun die Bauschau vorerst durch einen Geometer den der Gemeinde
eigentümlichen Platz ermitteln und sodann durch den Werkmeister Haueisen von
Leonberg Riss und Überschlag entwerfen zu lassen, demselben aber dabei
namentlich aufzutragen, das Bauwesen, welches 2 Backöfen und ein Vorzimmer
zum Würgen des Teiges enthalten soll, so einfach und Kosten ersparend als nur
immer mögllch zu machen, da, wie oben bereits erwähnt worden, die Gemeinde
durch das Schulhaus-Bauwesen bei der gänzlichen Unvermögenheit der hiesigen
Stiftung im kommenden Jahre so bedeutende Ausgaben zu prästieren hat.
Finanzielle Engpässe waren es, die die Realisierung des Backhausprojekts in
Münchingen verzögert hatten. Die Kosten wurden auf 750 fl. veranschlagt, wobei
von der Gemeindekasse gleichzeitig für den Bau der Schule 5425 fl. aufzubringen
waren. Die Gemeindeleitung konnte die obrigkeitlich auferlegte Umsetzung des
Backhausbaus nicht weiter auf die lange Bank schieben, drängte allerdings auf
eine möglichst kostengünstige Ausführung. Zur Ausstattung zählten zwei Öfen, ein
größerer für 36 Laib und ein kleinerer für 24 Laib Brote. Über den Öfen wurden
Obstdarren angebracht. Dass man trotz Spargebots auch auf Ästhetisches nicht
ganz verzichten wollte, zeigt der Einbau eines Blendfensters, also einer
„Fensterattrappe“, als Moment der Fassadengliederung. Was den Bauplatz
anbelangt, gab es bald eine Veränderung, die wohl auch bauliche Veränderungen
mit sich brachte: das Gebäude wurde in die hintere Wette hineingebaut. (Bilder 4-
6).
Der Gemeinderat setzte den zeitlichen Rahmen für die Benutzung der
Fleckenbackhäuser fest:
Von Georgii (23. April) bis Martini (11. November) sollen von morgens 3 Uhr bis
nachts 10 Uhr
Von Martini bis Georgii von morgens 5 Uhr bis nachts 10 Uhr die Öfen benützt
werden dürfen und sich die Einwohner hienach benehmen.
1844 wurde der Bezug des Bäckerlohns auf 1 Jahr an Johann Jakob Wemmer
verliehen um 15 fl. 30 x. Als Gegenleistung hatte er für den ordnungsgemäßen
Betrieb des Backhauses zu sorgen.
Zurück zu dem zitierten Baubeschluss vom November 1842. Dieser hatte noch
einen zweiten Absatz, in dem dekretiert wurde:
2. Den Backofen, der an dem der Gemeinde gehörigen Schafhaus bestehet und
der seit einigen Jahren von den Nachbarn benützt wird, ebenfalls in guten Stand
stellen zu lassen, wodurch das Bedürfnis vollständig hergestellt sein wird, indem
sodann durch das Bauwesen an der Wette die Bewohner unten und in der Mitte
des Orts und durch den Ofen am Schafhaus die oben im Flecken ein
Gemeindebackhaus erhalten. 4
4 MB-24 Gemeinderatsprotokoll 1841-1849 (f.110)
Zur Herstellung einer „flächendeckenden“ Versorgung im Ort ergänzte man den
Neubau durch einen bereits bestehenden und für diese Zwecke zu ertüchtigenden
Ofen beim gemeindeeigenen Schafhaus, wie es im Ruggericht bereits
vorgeschlagen worden war. (Bilder 7,8)
Von diesem ließen sich in den Archivquellen keine Pläne oder Ansichten finden. Er
war an den separat stehenden Viehstall angebaut, der wie das Schafhaus selbst
nach dem 2. Weltkrieg abgerissen wurde.
5. Anhaltender Bedarf lässt weitere Backhäuser entstehen
Dem Gemeindebackhaus beim Schafhaus war keine lange Existenz vergönnt.
Anlässlich dort notwendig werdender Investitionen kam der Münchinger
Gemeinderat am 1. August 1864 zu folgender Entscheidung:
Nach einer Ausstellung der Feuerschau soll die Feuereinrichtung im Gemeinde-
Backhaus beim Schafhaus neu hergestellt werden. In Betracht nun der Kosten und
da der Vorplatz zur Vorbereitung des Brotes eng und unbequem ist, und auch nicht
erweitert werden kann, wurde der Vorschlag gemacht, ein neues Backhaus
einzurichten, und zwar an der Ostseite des Bretterhauses gegenüber dem Rathaus,
an der Mauer gegen den Schulgarten. (Bilder 9,10,11)
Trotz amtlicherseits vorgebrachter Vorbehalte u.a. wegen störender Nähe zur
Kirche wurde die Baugenehmigung erteilt. Der eingebaute Backofen hatte eine
Kapazität von 26 bis 30 Laib Brot, die Gesamtkosten beliefen sich auf 640 fl.
Knapp 20 Jahre später waren wieder anstehende Reparaturen Auslöser für die
Einrichtung eines weiteren Gemeindebackhauses. Das Gemeinderatsprotokoll vom
5. September 1883 vermerkt:
Nach einem Defekt der Oberfeuerschau ist das hiesige Gemeinde-Waschhaus
teilweise zu reparieren, da aber in den letzten Jahren das Waschhaus zum
Waschen von den hiesigen Ortseinwohnern sehr wenig benutzt wurde, so dass ein
Pacht-Geld nicht mehr bezahlt werden konnte und in Aussicht steht, dass das
Waschhaus von den hiesigen Bürger künftighin sehr wenig zum Waschen benutzt
werden wird und von den hiesigen Bürgern der Wunsch ausgesprochen wurde,
dass aus dem Waschhaus ein weiteres Backhaus errichtet werden möchte, in
Anbetracht vorstehender Umstände und dass die Lage des Waschhauses zur
Verwendung eines Backhauses geeignet erscheint, haben die bürgerlichen
Kollegen darüber beraten und beschlossen:
Es soll das Gemeinde-Waschhaus zu einem Gemeinde-Backhaus verändert
werden und ein Backofen darinnen errichtet werden. (Bilder 12,13,14)
Für das ausgehende 19. Jahrhundert kann man in Münchingen geradezu von einer
Konjunktur der Backhäuser sprechen. Stets wird beim Bau neuer Einrichtungen
dieser Art auf den Wunsch der Bevölkerung als eine treibende Kraft hingewiesen,
wobei die Gemeindekasse durch steigende Pachteinnahmen auch ihren Profit
daraus zog. Das „meist selbstgebackene Hausbrot“ gehörte laut Lehrer
Nonnenmacher um die Jahrhundertwende zur Basisnahrung der Ortsbevölkerung.
Dies änderte sich entscheidend erst nach dem 2. Weltkrieg.
7. Backhaus-Sterben nach dem 2. Weltkrieg
Komfortablere, individuell geprägte Lebensumstände, neue technische
Möglichkeiten (elektrische Küchenherde) und eine bequeme Versorgung durch
expandierende, sortimentreiche Bäckereien, all das machte nun den altväterlich
wirkenden Gemeindeöfen starke Konkurrenz.
Backhäuser wirkten zunehmend eher störend und einer Modernisierung des
Ortsbildes im Wege stehend. So musste 1956 im Zuge des Rathaus-Umbaus und
der Neugestaltung seines Umfeldes auch das Backhaus der Spitzhacke weichen.
1969 erfolgte in einer ersten Etappe der Ortskernsanierung der Abriss des
Backhauses an der Wette. Übrig blieb, Gott sei Dank, das Backhaus in der Hinteren
Gasse.
8. Resumée und Ausblick
Als Kulturdenkmal gemäß § 2 DSchG, an dessen Erhaltung aus wissenschaftlichen
und heimatgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse besteht, ist es in
seinem Bestand gesichert. Es ist aber auch (noch) ein von seinen Nutzern mit
Leben erfülltes Denkmal. (Bild 15) Dieser Umstand ist untrennbar mit dem Namen
Marianne Hess verbunden, die im fortgeschrittenen Alter noch etwa alle vier
Wochen den Ofen anwirft. Hoher Holzbedarf, fehlende Lagermöglichkeiten und
großer Zeitaufwand beim Vorheizen sind Faktoren, die in Zukunft die weitere
Nutzung des Backhauses problematisch erscheinen lassen. Der Heimatverein
Münchingen sollte sich um Möglichkeiten der Aufrechterhaltung und ggf.
Weiterentwicklung einer mehr als 180jährigen Tradition bemühen.
Herzlichen Dank




